Eine saubere Recherche und eine sorgfältige Berichterstattung zahlen sich aus, auch rechtlich. Diesen Beleg liefert der «Beobachter», der kürzlich über den erfolgreichen Abschluss eines langjährigen Gerichtsverfahrens gegen ihn berichtet.
Hintergrund: Ende 2020 erschien im Magazin eine aufwändige Recherche über die fragwürdigen Praktiken des Versicherungsvermittlers Swiss Home Finance AG. Dagegen wehrte sich die Swiss Home Finance AG. Der Gründer und Geschäftsführer der Gesellschaft schaltete in mehreren Schweizer Medien ganzseitige Inserate und warf dem «Beobachter» vor, sein Geschäft zu schädigen (vgl. Bild). Zudem klagte die Swiss Home Finance AG vor dem Zürcher Handelsgericht medienwirksam und mir grossem Aufwand (sie machte Anwaltskosten in der Höhe von CHF 155’294.75 geltend) gegen den «Beobachter» wegen angeblicher UWG- und Persönlichkeitsverletzungen. Die Versicherungsvermittlerin störte sich vor allem an der Aussage, Mitarbeitende Unterschriften auf Versicherungsdokumenten nachzeichnen.
Mit Urteil vom 31. Mai 2024 wies das Handelsgericht Zürich die Klage der Swiss Home Finance AG vollumfänglich ab. Nach Ansicht des Gerichts gelang es dem «Beobachter», den Wahrheitsbeweis (Art. 28 Abs. 2 ZGB) für seine Aussagen zu belegen. Der «Beobachter» hatte eine entsprechende Videoaufnahme aus dem Zürcher Büro der Swiss Home Finance AG vorgelegt, die zeigte, wie Personen am Fenster eine Unterschrift durchpausen (E. 4.3.2.):
Bereits aufgrund dieses Beweismittels und der sich daraus ergebenden Umstände gelingt es der Beklagten, den Hauptbeweis dafür zu erbringen, dass im Büro der Klägerin Unterschriften von Kunden und Kundinnen nachgezeichnet werden. […] Gestützt auf dieses Beweisergebnis ist das Gericht bereits von der Richtigkeit der im streitgegenständlichen Artikel enthaltenen Tatsachenbehauptungen (Unterschriften durchpausen, selber unterschreiben) überzeugt.
Der «Beobachter» legte im Verfahren neben der Videoaufnahme diverse weitere Beweismittel vor. In diesen Dokumenten war auch die Rede von Radiergummi-Kugelschreiber, die zum Ausfüllen von Versicherungsanträgen benutzt wurden. Dazu schreibt das Handelsgericht (E. 4.3.2.):
Die Verwendung von Radiergummi-Kugelschreiber beim Ausfüllen von Versicherungsanträgen beweist zwar per se keine der vorgeworfenen Handlungen, wirft mit Blick auf die im Raum stehenden Vorwürfe jedoch kein gutes Licht auf die Klägerin, zumal dies von der Versicherung anscheinend bereits früher kritisiert worden war – aus welchen Gründen auch immer. Es ist im Übrigen im geschäftlichen Kontext auch absolut unüblich, solche Schreibgeräte zu verwenden, gerade wenn es um wichtige Dokumente geht, bei welchen nicht der Anschein des Verfälschens bzw. Vertuschens aufkommen darf.
Interessant für Medienschaffende sind die handelsgerichtlichen Ausführungen zu den anonymen Quellen des «Beobachter». Dieser stützte sich für seine Recherche als auch im Gerichtsverfahren auch auf Aussagen mehrerer Mitarbeitender der Swiss Home Finance, die die Praktiken bestätigt hatten. Zu deren Schutz wurden die Aussagen der Quellen im Verfahren schriftlich vorgelegt, jedoch in anonymisierter Form. Die Zeugen erklärten sich jedoch bereit, persönlich vor einer Urkundsperson zu erscheinen und ihre Unterschriften beglaubigen zu lassen. Dazu das Handelsgericht (E. 4.3.2.):
Sodann liegen diverse Urkunden im Recht, welche die Behauptung der Beklagten untermauern, dass die Angestellten der Klägerin Unterschriften auf Versicherungsanträgen durchgepaust bzw. selber gesetzt haben. Der Beweiswert der verschriftlichten Aussagen der anonymen Quellen der Beklagten (act. 11/1-3; zusätzlich notariell beglaubigt: act. 32/2-3) ist zwar schwächer. Schriftliche Ausführungen von anonymen Quellen gelten lediglich als Urkunden, kann doch nur das Gericht schriftliche Auskünfte von Zeugen gemäss Art. 190 Abs. 2 ZPO einholen. Der allfällige Umstand, dass die Zeugen aus Angst vor Vergeltungsmassnahmen der Klägerin bzw. […] anonym bleiben wollten, vermag den Beweiswert der schriftlichen Aufzeichnungen nicht zu erhöhen, da die Parteien nicht eigenmächtig Schutzmassnahmen ergreifen können (vgl. Art. 156 ZPO). Gleichwohl vermögen die bezüglich dem Nachzeichnen bzw. Durchpausen von Unterschriften übereinstimmenden Ausführungen der anonymen Quellen den Standpunkt der Beklagten zu stützen.
Das Gericht kam daher zum Schluss (E. 4.4.):
Weder die einzelnen von der Klägerin beanstandeten Passagen bzw. Vorwürfe noch der streitgegenständliche Artikel als Ganzes verletzen die Persönlichkeitsrechte der Klägerin in widerrechtlicher Weise.
In Bezug auf angebliche Verstösse gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb hielt das Handelsgericht fest (E. 5.2.):
Der streitgegenständliche Artikel enthält keine unnötig verletzende, aggressive bzw. gehässigte oder sogar irreführende Äusserung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG, weshalb es offenbleiben kann, ob die weiteren Tatbestandsmerkmale gegeben wären. Der Vorwurf der unnötigen Herabsetzung erweist sich daher zusammenfassend ebenfalls als unbegründet und eine Verletzung des UWG ist zu verneinen.
Gegen die Feststellungen des Handelsgerichts wehrte sich die Swiss Home Finance vor Bundesgericht. Letzteres entschied kürzlich ebenfalls zu Gunsten des «Beobachter». Es wies die Beschwerde der Versicherungsvermittlerin vollumfänglich ab. Im Urteil 5A_519/2024 vom 4. Juli 2025 führt das Bundesgericht detailliert aus, weshalb die Beschwerde der Swiss Home Finance unbegründet ist (E. 4.2.3.):
Die Reklamationen betreffend die Erwägungen, mit denen die Vorinstanz erklärt, weshalb der im streitgegenständlichen Artikel erhobene Vorwurf des Nachzeichnens bzw. Durchpausens von Unterschriften ihre Persönlichkeit verletze, sind zum Scheitern verurteilt. Nachdem die Vorinstanz eine Persönlichkeitsverletzung bejaht, könnte die Beschwerdeführerin an der Prüfung dieser Beanstandungen nur dann ein im Sinne von Art. 76 BGG schutzwürdiges Interesse haben, wenn sich die (angeblich) unzutreffende Begründung auf den Ausgang des Streits auswirkt. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass dies der Fall sei. Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass das Handelsgericht den Sachverhalt offensichtlich unrichtig feststelle und seine Erwägungen dem Beweisergebnis widersprächen. Diese Rügen gehen an der Sache vorbei. Denn ob die umstrittenen Passagen des Medienberichts in der Wahrnehmung einer durchschnittlichen Leserin oder eines durchschnittlichen Lesers einer (strafrechtlichen) Vorverurteilung der Beschwerdeführerin gleichkommen, die mit der Unschuldsvermutung und den Vorgaben zur Verdachtsberichterstattung in Konflikt gerät, ist keine Frage der Sachverhaltsfeststellung oder Beweiswürdigung, sondern eine Rechtsfrage (s. vorne E. 4.1.3). Inwiefern sich die Vorinstanz bei der Ausübung ihres diesbezüglichen Ermessens dem Vorwurf der fehlerhaften Rechtsanwendung aussetzt, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Weitere Erörterungen erübrigen sich.
In Bezug auf den Wahrheitsbeweis der Tatsache, wonach im Büro der Beschwerdeführerin Unterschriften nachgezeichnet wurden, kommt das Bundesgericht zum Schluss (E. 4.2.5.):
Nach alledem muss es mit der vorinstanzlichen Erkenntnis, wonach die Beschwerdegegnerin mit Bezug auf den im streitgegenständlichen Artikel erhobenen Vorwurf des Nachzeichnens bzw. Durchpausens von Unterschriften den ihr obliegenden Wahrheitsbeweis erbracht hat, sein Bewenden haben. Damit erübrigen sich Erörterungen zum weiteren Vorwurf der Beschwerdeführerin, wonach das Handelsgericht die “juristische Binsenweisheit” negiere, dass nur an der Verbreitung wahrer Informationen ein öffentliches Interesse gegeben sein könne. Besondere Gründe, weshalb die Veröffentlichung der besagten, nunmehr als wahr feststehenden Tatsache durch den Informationsauftrag der Medien ausnahmsweise nicht gedeckt sein soll (vgl. vorne E. 4.1.2), nennt die Beschwerdeführerin nicht.
Diese Rechtsprechung ist ein wichtiger Sieg für den investigativen Journalismus. Wer journalistische Sorgfaltspflichten ernst nimmt und seine Recherche gut dokumentiert, kann sich auch vor Gericht erfolgreich auf den Schutz der Medienfreiheit berufen – trotz Quellenschutz.
Weitere Informationen:
Berichterstattung des «Beobachter» zum Verfahrensausgang
Ringier-Medienmitteilung vom 8. Oktober 2025
Disclaimer: Der Beobachter wurde im Verfahren von RA Markus Prazeller vertreten, Partner bei Wagner Prazeller Hug.